Mark Jones - Am Anfang war Gewalt

Mark Jones – Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik.

Mark Jones hat hier ein interessantes Unterfangen unternommen: Die wenigen Monate vom Ausbruch der Revolution im November 1918 bis zum März 1919 nach Gewalttaten zu untersuchen. Dabei stellt er sich zwei Fragen: Wie war es wirklich – was heißt: Was lässt sich nach Aktenlage heute noch über die Geschehnisse sagen? Hierbei zieht er auch Quellen heran, die bislang nicht beachtet worden sind.

Und zweitens, wie wurden die Geschehnisse in der Presse wiedergegeben, von der Politik aufgegriffen und zur Motivierung welcher Reaktionen/Handlungen genutzt? Eigentlich ist das historiographische Grundlagenarbeit, und betrachtet man die Ergebnisse seines Werkes, erstaunt es, dass diese Arbeit bislang offensichtlich an einigen Stellen noch nicht getan worden ist, denn seine Darstellung unterscheidet sich durchaus von den gängigen Werken über die 1918/19-Revolution.

Realität -> Publizität -> Resonanz -> Realität

Deutlich wird so, welche Gräueltaten aufgebauscht werden – die der radikalen Linken – und welche als ordnungserhaltend interpretiert werden – die der Freikorps, der Reichswehr, der Regierungstruppen etc. Beim Mord an Luxemburg und Liebknecht wird erschreckend klar, wie sehr sich selbst die Mehrheit der SPD einem Ordnungs- und Sicherheitswahn verschrieben hatten, der sie dazu führte, genau die Taten (der „Rechten“) zu rechtfertigen, vor denen sie die Bevölkerung doch eigentlich schützen wollte. Sie (und die gesamte Öffentlichkeit) saß damit der eigenen Gräuelpropaganda auf, die die realen und auch schlichtweg erfundenen Gräueltaten der USPD/KPD/Spartakisten endlos aufbauschten und auf den Popanz, den sie so geschaffen hatten, dann entsprechend reagieren mussten: also eine weitaus größere Gefahr abwehren mussten, als sie real vorhanden war, und das mit weitaus radikaleren Methoden, als sie angebracht und/oder notwendig waren (siehe Noskes Schießbefehl). Die Folge war eine Gewöhnung an illegitime Gewalt durch Regierungskräfte, zur Durchsetzung der Ziele der jeweiligen Regierung, von Anfang der Weimarer Republik an. Die radikale Linke dagegen machte in der Realität den Eindruck eines recht planlos handelnden Häufchens Getriebener, die weder zu einer organisierten zielgerichteten Handlung imstande waren, noch überhaupt genug an der Zahl waren, um irgendetwas zu bewirken. Außer dem eigenen Untergang.

Die Bedeutung der Presse wird damit deutlich: Wer die Herrschaft über die Presse hat, hat die über die öffentliche Meinung, und da diese wiederum die Handlungsräume definiert, die Lenkungsmacht. Die Wiedergabe der Realität ist bedeutsamer und prägender als die Wirklichkeit selbst. Kein Wunder also, dass die „große Schlacht“ in Berlin ausgerechnet um das Verlagsgebäude des Vorwärts, also der SPD-Zeitung, stattfand.

Ein neues Bild der Revolution 1918/1919

So entsteht ein Bild der Revolution, das die gängigen Darstellungen der zentralen Ereignisse an wichtigen Stellen korrigieren und ergänzen kann. Darüber hinaus ist in erster Linie die Erkenntnis wichtig, dass die Brutalisierung der Politik nicht erst gegen Ende der Weimarer Republik erfolgte, sondern aus dem Krieg in sie hineingenommen wurde. Es gibt eine direkte Linie vom Ersten Weltkrieg in den Nationalsozialismus, und die Innenpolitik Weimars gegenüber Linksradikalen unterschied sich gar nicht so sehr von der der Nationalsozialisten. Das ist beklemmend.

Das Buch ist aber nicht nur durch seinen Informationsgehalt, sondern auch durch Aufbau und Stil wertvoll: Eine spannende Lektüre, eine überaus kompetente Einführung in das anstehende Revolutionsjubiläum. Es steht in guter angelsächsischer Tradition, in der sich der Autor auch durchaus eine eigene Meinung erlaubt. Leseempfehlung!

Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik. Berlin: Ullstein, 2017. 432 S. Originalausgabe: Jones, M. (2016). Founding Weimar: Violence and the German Revolution of 1918–1919. Cambridge: Cambridge University Press. doi:10.1017/CBO9781316335628

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Klaus Berndl

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